Kofelgschroa
Homepage
»Wichtig ist einfach,
dass man 'nen Inhalt hat, 'en Lebensinhalt…«
kofelgschroa – Vier Künstler und Handwerker aus Oberammergau: Maximilian Paul Pongratz, Michael Christian von Mücke, Martin Anton von Mücke, Matthias Otto Meichelböck.
Video: Jonas Kraus Ton: Roman Weber. Drehort: Hotel Kovél. Url.
DOK.fest München, 2014. Trailer I »frei sein wollen«. 2.42 min. © Südkino.
Quelle:
Kofelgschroa ► … Videos
Vgl. Videosammlung music.me
Vgl. Kofelgschroa youtube
Vgl. Humulus Lupus 2015 in Vieth bei Scheyern ► Video, 6.32 min.
Vgl. »11 Fragen an Kofelgschroa« / Von Jörg Michael Ankermüller, 6. Oktober 2016
... link (0 Kommentare) ... comment
K. Cornils - Interview
spex – Magazin für Popkultur
Die Idee war uns ist, Wahrnehmung anders zu polen
Text und Interview von Kristoffer Cornils mit Dimitri Hegemann und Adi Schröder über die Wiederbelebung des Festivals.
Dimitri Hegemann lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Dabei wimmelt es um ihn herum nur so von Menschen, die Rechnungen vorbeibringen, seine Unterschrift brauchen oder einfach Hallo sagen möchten. Und da ist ja noch das Telefon. »Wenn was los ist, kennen mich wieder alle«, lacht er. Und es ist etwas los, denn Hegemann hat das von ihm 1982 initiierte Festival Berlin Atonal wieder zum Leben erweckt. Die wummernde Subbässe, die aus dem alten Heizkraftwerk, in dem seit geraumer Zeit auch der von Hegemann gegründete Tresor beheimatet ist, dringen, kündigen bereits an: Dieses Atonal wird ein anderes als das, welches nach 1990 nicht mehr weitergeführt wurde. Das liegt auch an dem Team, das Hegemann um sich geschart hat, den Australier Harry Glass, den Franzosen Paulo Reachi und Laurens von Oswald, Neffe des Dub Techno-Pioniers Moritz von Oswald. Sie sind jung, kommen aus der Techno-Szene. Das Atonal von 2013 ist nicht dasselbe wie vor gut 30 Jahren.
Neben audiovisuellen Installationen von jungen Künstlern und Musikern wie Grischa Lichtenberger und Dadub steht so unter anderem ein Showcase des Hype-Labels Blackest Ever Black und ein Abend mit den abseitigen Techno-Entwürfen von Actress, Kassem Mosse, Anstam sowie Francesco Tristano, der ständig auf dem Grat zwischen klassischer Komposition und elektronischen Sounds wandert, auf dem Programm. (Für letzteren Abend verlosen wir am Artikelende noch Plätze.) Sie treffen, neben Juan Atkins & Moritz von Oswald oder dem Glenn Branca Ensemble, auf Musiker wie Z’EV und Frieder Butzmann, die bereits bei den ersten Ausgaben des Festivals dabei waren.
Adi Schröder, der Hegemann damals wie heute bei der Konzeption des Atonal sowie beim nachfolgenden SPEX-Interview unterstützt, betont immer wieder die Parallelen zu dem Festival, das die Westberliner Subkultur um die Genialen Dilettanten einerseits repräsentierte, andererseits aber auch entschieden prägte. Das geschäftige Chaos, das in und vor den Räumlichkeiten in der Köpenicker Straße herrscht, scheint das nur zu bestätigen.
Dimitrit Hegemann, warum haben Sie 1990 aufgehört? Passte das Konzept des Atonal nicht mehr in die Aufbruchsstimmung der 1990er Jahre?
Dimitri Hegemann: Das letzte Festival 1990 im Künstlerhaus Bethanien war ein Brückenfestival. Danach ging es mit dem Tresor los. Die Mauer war gerade gefallen, wir mussten uns erst mal um die Weltrevolution Techno kümmern. Das war ein neues Tanzprogramm. In Westberlin hatte sich keiner bewegt, man stand da und staunte über die Sensationen auf der Bühne: Psychic TV, Test Dept. und Laibach. Und plötzlich bewegte man sich. Es gab eine Veränderung.Und da passte das Atonal als Konzept nicht mehr rein?
Adi Schröder: Wenn hinter dem Atonal die Idee stand, die Hör- und Sehgewohnheiten zu sprengen und die Wahrnehmung anders zu polen, dann war das, was anfangs im Tresor passierte, genau dasselbe, nur mit anderen Mitteln. Das ist nicht als Bruch zu verstehen.Bereits 1999 fand ein Wiederbelebungsversuchstatt.
DH: Das war ganz bizarr. Ein Freund, Michael Schäumer, sagte zu mir: »Lass doch mal das Atonal wiederbeleben.« Ich war damals nicht in Berlin. Kaum war ich zurück, war die Sache gelaufen. Es war eine Veranstaltung, die unter dem Namen lief, aber es fehlte die Liebe, das Engagement, der Spirit.
AS: Weil wir nicht dabei waren.
DH: Jetzt sind wir dabei und die neue Generation – Laurens, Harry und Paulo. Das Programm, das die zusammengestellt haben – das ich zum Teil gar nicht kenne – stellt einen Versuch dar, Brücken zu schlagen.Der Rückbezug auf die Hochphase der Berliner Subkultur in den 1980er und -90er Jahren findet aktuell vermehrt statt. Bücher wie Klang der Familie, Die ersten Tage von Berlin und Wolfgang Müllers Subkultur Westberlin 1979-1989 nehmen sich intensiv des Themas an.
AS: Wolfgang war einer der Genialen Dilletanten, er ist Atonalist der ersten Stunde.Interessant ist, dass Müller dementiert, mit seiner Band Die Tödliche Doris beim ersten Atonal im Jahr 1982 aufgetreten zu sein.
DH: Das ist richtig. Im Programm stehen sie zwar drin, waren aber nicht dabei.
AS: Die Tödliche Doris ist ja eine konzeptionelle Band, die sich manchmal von anderen Leute auf der Bühne hat vertreten lassen. Die haben in der Abwesenheit ihre Präsenz demonstriert.Die Absage begründet Müller heute jedoch mit der Förderung des Atonals durch den Senat.
DH: Richtig, wir haben damals beim ersten Festival im SO36 ungefähr 20.000 DM erhalten.
AS: Derjenige, der in Berlin subventionierte, war Bernd Mehlitz, der sogenannte »Rock-Beauftragte« des Senats. Es gab ein paar Leute auf der anderen Seite, die uns geholfen haben. Heute sieht das ganz anders aus, alle lassen sich subventionieren und haben überhaupt kein Problem damit. Die Berührungsängste sind verschwunden. (Weiter nach der Fotografie.)
Adi Schröder über die Arbeiten am Raum:
»Alles entspricht einer ganz anderen Dimension, physisch wie mental.«Werden Sie denn subventioniert?
DH: Ja, vom Musicboard. Es ist aber trotzdem schwierig, sowas zu realisieren. Die Kosten sind enorm. Es gibt ja auch ähnliche Festivals – CTM oder MaerzMusik – die wohl eher im sicheren Hafen sind als wir.
AS: Dimitris Risikobereitschaft und das, was an Subventionen kommt, steht in einem absoluten Missverhältnis. Du kannst dir nicht vorstellen, was der hat unternehmen müssen, um dieses Haus der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
DH: Da kommst du mit 50€ nicht weiter, nimmt dich keiner. Wir haben so etwas, aber nicht in der Dimension dieses Festivals, und es ist sinnvoll, diesen Raum hier zu realisieren und nicht in der Peripherie. Es ist ein Ort, der prägt. In der Philharmonie hätte es nicht dieselbe Wirkung. Ich mag diesen aseptischen Kubus nicht. Ich mag lieber Räume, in denen alles noch möglich und denkbar ist. Ich glaube, dass das sehr, sehr wichtig für Berlin ist.
AS: Deswegen sagen wir auch: »Welcome Back Home«. Die Rückkehr ist eine Punktlandung.Sollten diese alternativen Veranstaltungen und Räume, die vom funktionalistischen White-Cube-Prinzip abweichen, intensiver gefördert werden?
DH: Grundsätzlich ja. Aber es kommt darauf an, wer dahinter sitzt, wie lange und wie ernsthaft derjenige das schon macht. Ich will kein Geld sehen, ich will nur, dass man sagt: »Was habt ihr vor und können wir euch bei eurer Entfluchtungssituation helfen?« Wir würden es schaffen, wenn diese baulichen Geschichten und der Brandschutz durch günstige Kredite erleichtert würden. Die können sich auf uns verlassen, wir machen das schon seit dreißig Jahren! Gerade führe ich eine Feldforschung in Schwedt an der Oder durch und meine Erkenntnis ist rückblickend, dass die Balance einer Stadt zwischen etablierter und Gegenkultur gegeben sein muss. Meine Erfahrung ist jedoch, dass viele Entscheidungsträger realitätsfern sind. Es mangelt an Zugeständnissen. So aber kommt es zur Abwanderung und alle gehen nach Berlin und der Mainstream übernimmt das Programm. Deswegen brauchen wir solche Kräfte und die müssen unterstützt und verstanden werden, sodass eine kulturelle Vielfalt selbst in Provinzstädten gegeben ist.Zurück in Berlin: Die Möglichkeiten, die es gerade in den 90ern gab – Schlüssel besorgen, mal reinschauen und einen Club daraus machen – sind aber nicht mehr gegeben.
DH: So einfach war das auch nicht. Man hat viel Engagement und eine gewisse Frechheit gehabt, es war aber nicht so, als hätten alle Türen offen gestanden. Wir haben nachgefragt und dann Verträge abgeschlossen, Genehmigungen eingeholt und hatten Probleme mit den Ämtern. Berlin hat auch nach zwanzig Jahren noch Vorteile: der bezahlbare Raum und der Geist, der in der Stadt ist. Wir wachsen zu schnell wachsen. Die Überdosis an Kreativität könnte dazu führen, dass es kippt. Deshalb müssten Stadt und Tourismusbörsen reagieren. Wir hatten letztes Jahr 25 Millionen registrierte Übernachtungen, jetzt wollen sie schnell auf 30 kommen. Was passiert dann? Dann kommen die modernen Raubritter, die gute Geschäftsideen haben und irgendwas bauen und – zack! –zieht zwar eine Quantität ein, die Qualität aber sinkt. Schau dir Detroit an, eine blühende Stadt, die zusammengebrochen ist. Das könnte hier auch passieren, wenn gewisse Faktoren wie zum Beispiel eine andere Gesetzgebung oder das Verschwinden von bestimmten Sehnsuchtsorten ins Spiel kommen, Fluglinien nicht mehr kommen. Dann könnte die Karawane weiterziehen.Verdrängt die von Ihnen angesprochene Kommerzialisierung die alternativen Konzepte?
DH: Es mangelt zumindest an Wertschätzung. Das ändert sich nur langsam. Die Mittel aber sind da. Und die Kulturprogramme bewegen sich ja schon aufeinander zu, das Staatsballet tanzt mittlerweile im Berghain. Du musst eben Risiken eingehen. Ich merke das auch in der jungen Generation, die wünscht sich eine Alternative zum medialen Mainstream. Wir müssen tatsächlich eine Situation schaffen, wo das Atonal ganz anders wahrgenommen wird. Es geht nicht nur um die Musik, sondern auch um die Erfahrung, sich im Klang und der Architektur zu bewegen. Wir wollen Menschen zusammenzuführen, die diese Inspiration mitnehmen. Dazu kannst du nicht ins Rathaus von Oldenburg oder in eine Sparkassen-Vorhalle gehen.
AS: Das Atonal hat immer in ganz besonderen Räumen stattgefunden. Das SO36 war außergewöhnlich, weil es kahl, nackt und hart war. Andrew Unruh von den Einstürzenden Neubauten hat mit dem Bohrer durch die Wand gebohrt. Aber welche Löcher Dimitri hier in die Wand bohren musste, um den Rauch abzuleiten oder die Notausgange zu gewährleisten, das entspricht einer ganz anderen Dimension, physisch wie mental. Das, was die Neubauten und andere damals mit dieser neuen Power bewegt haben, das findet wieder statt. Nur auf einer anderen Ebene. (Weiter nach der Fotografie.)
Juan Atkins & Moritz von OswaldDas Festival steht unter dem Motto »Forming Space«, der auf zwei verschiedene Arten gelesen werden kann. Der formende Raum einerseits, der Raum, der geformt wird, andererseits.
DH: Laurens, Harry und Paulo haben das so begründet, dass das es um die Schaffung von Raum in der Komposition wie auch im Denken geht. Die haben gefragt: Was gibt es noch? Wo gibt es eine Weiterentwicklung? Das Atonal 2013 zeigt Weiterentwicklungen im Techno. Wenn du beispielsweise das neue Album von Juan Atkins und Moritz von Oswald hörst – das ist eine neue Form von Dub.Zentral scheinen auch die audiovisuellen Arbeiten, die einen großen Teil des Programms ausmachen.
AS: Z’EV, der bereits beim ersten Atonal dabei war, nennt diese Verbindung zur visuellen Wahrnehmung »rhythmagic«. Es gibt eine unmittelbare Umsetzung von rhythmischen zu visuellen Gesichtspunkten. Das ist einer der Hauptaspekte des neuen Atonal.
DH: Frieder Butzmann hat eben den Soundcheck für seine Interpretation der Ursonate gemacht. Schwitters hatte einen Techno-Groove, den Vierviertel.
AS: Four-to-the-Floor!
DH: Oh! Oh! Oh! Oh! Alles in die Wörter gesetzt. In Blöcken, mathematisch aufgegliedert. Da waren ein paar Bauarbeiter, die das gut fanden. Das ist für mich Volksmusik! Wenn die Leute sagen: »Das ist großartig, machst du das noch mal?«.
AS: Wir wollen das Atonal drei Mal machen, dann kommt die Überführung an die Jugend. Wir bauen die Brücken zwischen den Generationen. Es werden Leute jeder Altersstufe vertreten sein, nicht nur im Publikum, sondern auch auf der Bühne. Jon Hassell ist über siebzig und die jüngsten Künstler sind Anfang 20.Dabei werden Traditionslinien aufgedeckt. Acts wie Raime und Vatican Shadow docken an der Soundästhetik des Industrials an.
AS: Industrial ist sicherlich eine Kontinuität. Es gibt auch eine Konstante, was Rhythmus, Beats und Metren betrifft. Die Beats der Einstürzenden Neubauten waren neu, anders. Nicht nur Rumgekloppe auf Blech. Wenn du dir nun Z’EV und Cut Hands anhörst, offenbaren sich Zusammenhänge.Der Schulterschluss mit der jüngeren Generation spiegelt sich ebenfalls im Rahmenprogramm wider. Christoph Drehers Dokumentation No Wave wird gezeigt, es finden Workshops statt. Ist es Ihr Anliegen, das Geschichtsbewusstsein Ihres Publikums schärfen, um dadurch neue Perspektiven zu eröffnen?
DH: Genau. Die Gespräche mit Karl Lippegaus und Jon Hassell gehören beispielsweise auch dazu. Im Gespräch mit den jungen Beteiligten habe ich festgestellt: Die wollen das auch. Und die werden uns auch Dinge zeigen, die wir nicht kennen.
(Das Gespräch wird unterbrochen: Hegemann muss noch den Brandschutzbeauftragten verabschieden. Als er an den Tisch zurückkommt, klingelt wieder sein Handy. Alte Bekannte. Von denen würden sich momentan viele melden.) Zum Beispiel fragte mich auch Gudrun Gut, warum wir so wenige Frauen auf dem Festival haben.Das ist in der Tat auffällig. Vier Frauen bei insgesamt 37 teilnehmenden Acts, die rein männlich besetzten Aftershow-Parties nicht mitgerechnet.
DH: Aber es geht doch um Musik, nicht um politische Themen.Vor nicht allzu langer Zeit veröffentlichte female:pressure eine Statistik, die den Frauenanteil in der elektronischen Musik, vor allem auf Festivals abbildet. Das hat eine rege Diskussion angestoßen.
DH: Bei uns sind sehr viele Frauen dabei, vor allem im Glenn-Branca-Ensemble. Ich habe das nicht so wahrgenommen. Es geht nicht darum, dass wir Quoten… Das ist ein politisches Thema, finde ich.Nichtsdestotrotz wäre das eine weitere Brücke, die es zu schlagen gilt.
AS: Es ist nicht so, als hätten wir das ignoriert, aber in diesem atonalen Bereich sind sehr wenige Frauen zu finden.
DH: Gudrun sagte, da seien schon sehr viele. Sie hat mir viele Tipps gegeben. Aber da war das Booking schon durch.
AS: Da müssen wir in Zukunft einen geschärften Blick drauf werfen.
DH: Ich finde das eigentlich okay. Mir ging es vor allem um die Musik. Wir haben die Musik teilweise blind gehört und wussten nicht, wer dahintersteckt. Ich kam mir vor wie ein DJ, der in einem Plattenladen White Label nach White Label anhört. Vor allem wollte ich einen großen Berlin-Anteil dazu holen. Aber die meisten leben aber schon hier. Wer heutzutage aus Südfrankreich aufbricht, wird hier sicherlich Leute finden, die seine Vision teilen. Berlin ist ein Epizentrum der Kreativität.Nachfolgend das gesamte Tages- und Abendprogramm für Berlin Atonal 2013. Für den Dienstag mit u.a. Actress, Francesco Tristano, Kassem Mosse, Anstam verlost SPEX hier noch 3x2 Plätze. Weitere Informationen auf berlin-atonal.com.
Donnerstag, 25. Juli
ab 14 Uhr (und durchgehend während des gesamten Festivals): Installationen: ANTIVJ 3Destruct, Dadub & Grün ILYA Machine 001, David Letellier 3 Machines Oscillantes, Grischa Lichtenberger 3 Steel Plates, Scanner & Sound
ab 20 Uhr: Frieder Butzmann Ursonate (Kurt Schwitters), The Glenn Branca Ensemble presents Twisting In Space, Roly Porter, Paul Jebanasam, Lucy Benson & Marcel Weber, Eric Holm
ab 1 Uhr: The VUP Lounge hosted by Max Dax, Alec Empire, Mark Reeder, Daniel Jones & GästeFreitag, 26. Juli
ab 16 Uhr: Sam Auinger »Thinking with your Ears« (Lecture), Christoph Dreher No Wave (Screening)
ab 20 Uhr: Jon Hassell Quartet, Juan Atkins & Moritz von Oswald, Vladislav Delay, Kangding Ray, Dasha Rush & Schloss Mirabel
ab 1 Uhr: DJ Deep, Shifted, Neel, Eric Cloutier, NailSamstag 27. Juli
ab 17 Uhr: Jon Hassell & Karl Lippegaus »Conversation Pierce« (Multimedia-Unterhaltung), Electronic Beats im Gespräch mit William Bennett
ab 20 Uhr: Voices From The Lake, Murcof & Simon Geilfus, Dadub, Grün
ab 1 Uhr: Juan Atkins, Moritz von Oswald, Thomas Fehlmann, ExosSonntag, 28. Juli
ab 14 Uhr: Raime, Vatican Shadow, Cut Hands, Ancient Methods, Russell Haswell, Violetshaped, Rashad Becker, Grischa Lichtenberger, Samuel Kerridge, Positive Centre, Lower Order Ethics, Zan Lyons
ab 1 Uhr: Powell, Raime (DJ-Set), Will Bankhead, DJ Richard, Liberation Technologies DJsDienstag, 30. Juli
ab 17:30: »Hidden Music« (Sounddesign-Workshop mit Ben Lukas Boysen), »Avant-Garde versus Functional Music« (Diskussion mit u.a. Phillip Sollmann, Dimitri Hegemann)
ab 20 Uhr: Actress, Francesco Tristano, Kassem Mosse, AnstamMittwoch, 31. Juli:
ab 16 Uhr: Jan Thoben »Optophonetics«, Roc Jimenez de Cisneros & Stephen Sharp »Rave Synthesis«, Mariska de Groot »Lumisonic Rotera« (performative Installation)
ab 20 Uhr: The Brandt Brauer Frick Ensemble, Jacaszek, Z'EV
ab 1 Uhr: Atonal Closing Party
Quelle:
spex – Magazin für Popkultur. ► Veröff. 25.7.2013
... link
Entschleunigungen
klangverhaeltnisse
|
... link (0 Kommentare) ... comment
Auf leisen Sohlen
klangverhaeltnisse
|
... link (1 Kommentar) ... comment
Ane Hebeisen - Interview
Der Bund, 17.11.2010
Ohne Masterplan
Sie erhalten enthusiastische Kritiken im amerikanischen «Downbeat» oder in der «Zeit», Sie touren mit Ihrem Trio oder mit Ihrer Partnerin Elina Duni erfolgreich durch die halbe Welt. Welchen Nerv trifft der Colin Vallon? Ei, das hab ich mich auch schon öfter gefragt, ohne eine Antwort gefunden zu haben. Ein wichtiger Faktor ist sicherlich das Glück. Mir kam zugute, dass mich Musiker wie Bänz Oester oder Norbert Pfammatter sehr früh in meiner Karriere gefördert haben und ich schon in jungen Jahren recht präsent war in der Schweizer Musikszene. Eine Erklärung für meinen Erfolg könnte sein, dass ich in meinem Spiel versuche, stets ehrlich zu bleiben. Ich will nicht klug oder interessant klingen und ich habe keine Hemmungen, auch Simples zu spielen. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht ein neues frisches Piano-Trio zum neuen heissen Ding erkoren wird. Es scheint nur so von jungen Pianisten zu wimmeln, die nicht nur mit Jazzmusik, sondern auch mit Indie- und Popmusik sozialisiert wurden. Wer wird diesen Hype überstehen? Es werden jene überleben, die ohne Kalkül an die Sache herangehen. Ich bin mit Rock- und Popmusik aufgewachsen, mit Bands wie Nirvana oder Metallica, und ich habe eigentlich erst mit 14 begonnen, Jazz zu hören. Die Rockmusik wird immer ein Teil von mir sein, das ist ähnlich wie mit der ersten Liebe. Sobald diese Annäherung jedoch aus einer Berechnung entsteht, weil es eben gerade modisch und hip ist, dann wird das der Hörer merken. Sie werden am Wochenende 30 Jahre alt. Zeit für eine kleine Zwischenbilanz: Sind Sie ungefähr dort angekommen, wo es Ihr künstlerischer Masterplan vorgesehen hat? Ich hatte nie einen Masterplan und werde auch nie einen solchen haben. Aber technisch bin ich noch längst nicht da, wo ich sein möchte. Ich muss noch viel üben. Doch die Dreissigermarke hat etwas Gutes: Ich entwachse langsam dem Stadium, in dem man in meinem Zusammenhang noch von einem Jungtalent sprechen kann. Ein furchtbarer Begriff. Als junger Jazzmusiker wirst du schnell zu einer Art Zirkusattraktion, es wird einzig auf die Virtuosität fokussiert. Das habe ich nun hoffentlich hinter mir. Wohin könnte die Reise in den nächsten zehn Jahren gehen? Ich kann nicht weit in die Zukunft schauen. Ich bin stets beeinflusst von Orten, von Menschen und von unterschiedlichster Musik. Im Moment höre ich sehr viel indische Musik, japanische Gagaku-Musik, Bach oder einen Singer-Songwriter wie Elliott Smith. Und ich übe momentan vornehmlich klassisch, wobei ich derzeit weniger auf die Fingerfertigkeit fokussiere, sondern auf die klanglichen Möglichkeiten des Pianos. Was letztlich daraus entsteht? Ich weiss es nicht. Sie haben für Ihren Geburtstag eine Carte blanche erhalten und dürfen im Progr tun, wonach Ihnen der Sinn steht. Was haben Sie vor? Das soll eine Überraschung bleiben. Zuerst befremdete mich die Idee, mich an meinem Geburtstag derart in den Mittelpunkt zu stellen, ich nehme mich da normalerweise nicht so wichtig. Doch nun haben sich einige Ideen entwickelt. Nur so viel: Der Abend wird in mehrere Teile gegliedert sein, und es wird mehrere unterschiedliche Besetzungen geben. Es werden neue Sachen zu hören sein – und es dürfte ein eher ruhiger Abend werden. (Der Bund, erstellt 17.11.2010, 13:50 Uhr) |
... link (0 Kommentare) ... comment
Die Zeit, 20.9.2007, Nr 39
Interview von Konrad Heidkamp mit Keith Jarrett
»Du musst nicht gut finden, was du spielst«
DIE ZEIT: Keith Jarrett: ZEIT: Jarrett: ZEIT: Jarrett: ZEIT: Jarrett: ZEIT: Jarrett: ZEIT: Jarrett: ZEIT: Jarrett: ZEIT: Jarrett: ZEIT: Jarrett: ZEIT: Jarrett: ZEIT: Jarrett: ZEIT: Jarrett: ZEIT: Jarrett: ZEIT: Jarrett: ZEIT: Jarrett: ZEIT: Jarrett: ZEIT: Jarrett: ZEIT: Jarrett: ZEIT: Jarrett: ZEIT: Jarrett: ZEIT: Jarrett: ZEIT: Jarrett: ZEIT: Jarrett: ZEIT: Jarrett: ZEIT: Jarrett: Das Gespräch führte Konrad Heidkamp |
Die Zeit, 25.11.1999, Nr 48
Interview von Konrad Heidkamp mit Keith Jarrett
Das Klavier singt doch
DIE ZEIT: KEITH JARRETT: JARRETT: ZEIT: JARRETT: ZEIT: JARRETT: JARRETT: ZEIT: JARRETT: ZEIT: JARRETT: ZEIT: JARRETT: ZEIT: JARRETT: JARRETT: ZEIT: JARRETT: ZEIT: JARRETT: ZEIT: JARRETT: ZEIT: JARRETT: ZEIT: JARRETT: ZEIT: JARRETT: ZEIT: JARRETT: ZEIT: JARRETT: ZEIT: JARRETT: ZEIT: JARRETT: ZEIT: JARRETT: ZEIT: JARRETT: ZEIT: JARRETT: ZEIT: JARRETT: ZEIT: JARRETT: ZEIT: JARRETT: ZEIT: JARRETT: ZEIT: JARRETT:
|
... link (0 Kommentare) ... comment
Dorothée Arneth - Interview
STUZ - Studentenzeitung Mainz Wiesbaden
»Der wird noch einige Haken schlagen«
|
AK-Anie 27.10.2010
immergut.blog.de
|
... link (0 Kommentare) ... comment
► In: Dissonanz, Nr. 71, Oktober 2001
»Auf Zeichen unvermittelt abbrechen. Stille.«
Annäherungen an neuere Werke von Alfred Zimmerlin
/ Von Michael Eidenbenz
Frequenzmodulationen
Eine einfache Einleitung von 19 Takten eröffnet den musikalischen Raum. Vereinzelte Klaviertöne, liegende Streicherklänge bestimmen ihn, eine langsame und genaue Rhythmik führt zu einem ersten vollen Akkord. Die Töne sind offensichtlich einer nicht als Ganzes erkennbaren Reihe entnommen, der sammelnde Akkord baut auf einem modulierten Obertonspektrum über E auf. Doch dieser scheinbar so klare Eröffnungsgestus erfährt schon mit den ersten Takten auch Irritation: Gleichzeitig mit der metrischen Klarheit wird ein zweiter Zeitfluss etabliert durch leise raschelndes Klöpfeln der Geigen und Bratschen, die mit der Bogen-Spannschraube leicht auf den Saitenhalter klopfen, geräuschhaft und metrisch vollkommen unabhängig vom tonfixierten restlichen Geschehen. Dieser zweite Raum bleibt offen, während nach den ersten 19 Takten nun auch die «Ton-Musik» in Bewegung gerät. über bewegt rhythmisiserten Zweiklängen der Streicher erfolgen virtuose Einwürfe des Klaviers, Frequenzmodulationen der Zweiklänge in die Frequenzproportionen logarithmisch umwandelnden Zeitverläufen. Gegen Ende des ersten Satzes wird sich diese Relation umgekehrt haben: Die Zweiklänge liegen jetzt im Klavier, die Frequenzmodulationen bilden den harmonischen Streicherteppich. Gleichzeitig tauchen aber noch weitere Elemente auf: Sukzessive Streicherglissandi etwa, Ausschnitte aus modalen Skalen im Klavier und in den Streichern, als kurze Einwürfe aufblitzend oder gedehnt über weite Strecken in den tiefen Streichern; zusehends auch Geräuschhaftes, reine Streichgeräusche auf dem Steg, col-legno-Tupfer, Pizzicati, die ihre Tonhöhe in schnellem Glissando sofort verlassen. Diese ganz auf heterogenen Techniken fussenden Geschehnisse sind nicht durch ein Prinzip konstruktiv miteinander verbunden, sondern ereignen sich quasi in arbiträrer Gleichzeitigkeit. Dabei ergeben sich höchstens kurzfristig wechselseitige Dialoge, kleine lokale Geschichten, auch klangliche überlagerungen, Konfrontationen der stufenlosen Glissandotöne mit den unverrückbaren Tonhöhen des Klaviers, an deren temperiertes System auch die modulierten Frequenzen angepasst wurden.Wahrnehmungsmodulationen
Während im ersten Satz bereits die Streicher fixierte Tonhöhen in verschiedene Richtungen verlassen haben, gerät im zweiten nun auch das Klavier unmerklich in klangliche Verflüssigung, wird auf die gegebene Natürlichkeit seines Klangs befragt. Nicht Verfremdung, nicht Kritik an den begrenzten und durch die Tradition längst vorbelasteten Möglichkeiten ist dabei das Ziel, es wird auch nicht mit unkonventionellen Spielpraktiken experimentiert. Vielmehr geht es darum, den Klavierklang gleichsam zu befreien, dessen «reine Wahrnehmung» möglich zu machen. Zunächst wird das Ohr verblüfft. Mit Beginn des zweiten Satzes erklingt ab Zuspiel-CD ein minimal gegen den ersten verstimmter zweiter Flügel aus Lautsprechern, die so aufgestellt sind, dass sie nicht sofort als Tonquelle identifizierbar sind. Das eingespielte und das konzertierende Klavier begegnen sich überlagernd mit höchst dramatischem, stark kontrastierendem, signalhaftem Material. Kaskaden von Oktavintervallen, Triller und Pendelbewegungen, schroffe Akzente und melodische Bruchstücke prallen in heftiger Gestik aufeinander, während dieser ihrerseits verschiedene Zeitflüsse aufschichtenden Klavierverdoppelung und unabhängig von ihr eine Unisono-Streichermelodie in teilweise mikrotonaler Skalenbewegung beigefügt ist. Der eingespielte Klavierpart mündet schliesslich, als ob eine Türe ins Freie aufgestossen würde, in ein anwachsendes, sämtliche vorangegangenen Obertonfinessen aufhebendes, sie gleichsam verschluckendes Rauschen, während in diesem Augenblick auch das konzertierende Klavier sich von aller Determination löst und zu improvisieren beginnt, quasi befreit seinen eigenen Zeitfluss findet. Das Rauschen verebbt, die Streichermelodie ist auch an ihr Ende gelangt, und nun kippt das Klavier wieder zurück aus seiner improvisatorischen Freiheit in ein streng komponiertes, mit seinem Skalen- und Accelerando-Prinzip klar fassliches kurzes Stück Musik. Dessen Gestik gleicht den ersten Einleitungstakten, doch die Hörer-Wahrnehmung ist nun eine andere geworden. Die Modulationen, denen die Klänge unterworfen worden sind, führen dazu, dass der reine, gewöhnliche Klavierklang nunmehr gleichsam entkleidet da steht. Die Zeitschichtungen und die zuletzt durchs Tonbandrauschen weit geöffneten Klangräume lassen nach ihrem Wegfallen das Klavier in einem konzentrierenden Fokus erscheinen. Sein Klang hat sich nicht verändert, aber dessen Wahrnehmung ist transformiert worden. Was es jetzt noch spielt, ist unprätentiös, es könnte genauso gut auch etwas anderes sein, schlichte Klaviermusik, die irgendwann «einfach aufhört».Diese ausführliche (und trotzdem natürlich noch immer verkürzende) Schilderung eines einzelnen Werks mag umständlich erscheinen, nötig ist sie doch, da sie verschiedene Elemente enthält, die für Zimmerlins Schaffen charakteristisch sind. Da ist zum Beispiel das Prozesshafte, das keine lineare Geschichte erzählt, aber eine Bewegung etabliert, die ins Innere eines beobachteten Objekts, hier des Klavierklangs, führt. Und da ist die Klarheit, die diesem Blick eigen ist: Zimmerlins Musik ist nie nebulös; falls jener Blick ins Innere metaphysisch genannt werden kann, so entwächst er nie diffuser Spekulation, sondern genauer Beobachtung. Da ist auch die Gleichzeitigkeit verschiedener Zeitschichtungen, ein von Zimmerlin oft kompositorisch behandeltes Thema, zu dem er sich vor allem in seinem Klarinettenquintett explizit Gedanken macht: Wie Zeitdimensionen offen gelassen werden können, wie sich individuelle Zeitorganisationen improvisierender Musiker zur kontrollierten komponierten Zeit verhält, wie Polymorphie von Zeitstrukturen mit allen Facetten gestaltet werden kann, das behandeln die sieben Sätze des Klarinettenquintetts mit gleich viel akribischer Gewissenhaftigkeit wie erfinderischer Fantasie . Und da ist schliesslich die Freiheit der offen gelassenen Möglichkeiten, der Verweigerung konstruktiver Gängelung. Dem 1955 geborenen und in Musikwissenschaft und Musikethnologie an der Universität Zürich ausgebildeten Alfred Zimmerlin scheint kaum etwas mehr künstlerisches Unbehagen zu bereiten als der Verlust frei wählbarer Möglichkeiten. Mag sein, dass hier die schweizerische Herkunft eine Rolle spielt, die seine Neugier gleichermassen auf kulturelle Phänomene Frankreichs wie Deutschlands ausrichtet. Ganz bestimmt aber wirkt sich hier beim Komponisten eine elementare Erfahrung des Improvisators Zimmerlin aus: Improvisierte Musik wird augenblicklich langweilig, wenn Reaktionen gefesselt werden und nur noch eine einzige Möglichkeit offen lassen.
Ohne Betroffenheitsgestik
Die Idee, verschiedenste konstruktive Systeme gleichzeitig einzusetzen, so dass keines von ihnen zum dominierenden Prinzip werden kann, taucht denn auch seit längerem in Zimmerlins Werken auf. So wenig wie hier logarithmische Berechnungen, Frequenzmodulationen oder Skalenbildungen Exklusivanspruch auf den inneren Zusammenhalt des Stücks erheben, so wenig ist beispielsweise in Paysage bleu (2000) für Chor, Orchester und Zuspiel-CD die das Stück beendende All-Intervallreihe der Flöte von konstruktiver Funktion. Und wenn im Klavierstück 5 (1992) die zweigestrichene Oktave mikrotonal so umgestimmt wird, dass gewisse reine Ober- bzw. Untertonintervalle gespielt werden können, so geht es durchaus nicht darum, ein neues «Reinstimmungs»-System zu etablieren. Die Gleichzeitigkeit verschiedener Systeme hat vielmehr den Zweck, Heterogenes zuzulassen, zusammen zu bringen zu einem Ganzen, Verschiedenes zu integrieren, nicht auszuschliessen oder gar zu eliminieren. Ein lineares Drama lässt sich in einem Raum, in dem «alles» Platz hat, aber nicht erzählen, ja wird gerade dadurch explizit verhindert: Ein solcher Raum könnte sich unendlich weiter ausbreiten, die Klangereignisse sind so lange die Fantasie des Komponisten ausreicht beliebig erweiterbar, keines von ihnen kann eine Protagonistenrolle mit individuellem Schicksal einnehmen. Die kurzfristig hochexpressiven und temperamentvollen Gesten heben sich gleichsam gegenseitig auf. Die Neutralisation der subjektiven Betroffenheitsgestik ist letztlich ein Ziel dieser Musik. Subjektivität kann sich aus der Musik entfernen, indem der Komponist auf steuernde Werkzeuge möglichst ganz verzichtet oder eben auch bei Zimmerlin , indem die Zahl der Werkzeuge theoretisch beliebig gross gewählt wird.Körperliche Klänge
Wo freilich die Werkzeuge beliebig sind, droht auch das Material beliebig zu werden. Dass dieses verbindlich bleibe, kann durch zwei Dinge garantiert werden: Durch die Form und durch das verlässliche kontrollierende musikalische Ohr. über letzteres verfügt der Komponist, der selber musiziert: Alfred Zimmerlin tritt seit je als improvisierender Musiker in verschiedensten Formationen auf und hat dabei ein feines Sensorium für die energetische Kraft, für Spannungen, reaktives Verhalten, für die Körperlichkeit eines Klangs im Raum beim Live-Auftritt entwickelt (letzterem mag auch die Tätigkeit des Musikkritikers Zimmerlin förderlich sein, dem der Unterschied zwischen live gespielter und konservierter Musik alltägliche Erfahrung ist). Das Ohr als Kontrollinstanz spielt dort die gewichtigste Rolle, wo nicht nur Systeme, sondern auch das gestische Material extrem heterogen gewählt ist. Der erste Höreindruck von Weisse Bewegung (1998) beispielsweise hinterlässt zu Beginn zunächst Ratlosigkeit. Die gestisch und klanglich denkbar isolierten Brocken, die Violoncello, Klavier und Schlagzeug hier einwerfen, scheinen in keinerlei nachvollziehbarer Relation zueinander zu stehen, selbst der dramatische Effekt des Zusammenprallens von Disparatem scheint keine Tendenz zu verfolgen. Allmählich erst (Weisse Bewegung ist mit 37 Minuten eine von Zimmerlins auführlichsten Kompositionen) ist die Vielschichtigkeit der Spannungsrelationen zu erkennen. Und mit zunehmender Dauer des Stücks stellt sich auch genau diese «Tendenzlosigkeit» als sinnhaft heraus, das auf Ordnung erpichte Ohr ist aufgefordert, von der ersten emotionalen Klangfaszination wieder Abstand zu nehmen und sich in dieser von Dingen aller Art besetzten Landschaft frei zurecht zu finden.Im zweiten Satz von Weisse Bewegung taucht dann aber auch jene Form auf, die Zimmerlin oft zur Kontrolle über das quantitative Gleichgewicht verwendet (sie bestimmt u.a. auch im zweiten Satz von In Bewegung (Nature Morte au Rideau) die beiden Klavierpartien). Zimmerlin nennt sie durchaus wortspielerisch «Lohse»-Form. Er bezieht sich damit auf gewisse Bilder Richard Paul Lohses, auf denen einzelne Farbflächen zwar eigengesetzlich, ohne determinierte Beziehung zueinander, doch so angeordnet erscheinen, dass in der Summe von jeder Farbe die gleiche Fläche eingenommen wird. Was also als zerklüftete Folge disparater Einzelereignisse wahrgenommen wird, erweist sich in seiner Ganzheit als Fläche, als «Leinwand», deren Flächendimension theoretisch beliebig gross sein kann, jedenfalls nicht von zielgerichteter Entwicklung zu einem dramaturgisch voraussehbaren Ende determiniert wird.
Das metaphorische Stichwort der «Leinwand» ist für Zimmerlins Musik in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Eine ganze Reihe von Werktiteln spielt auf Paul Cézanne an: In Bewegung (La Montagne de Sainte-Victoire), In Bewegung (Nature morte au Rideau), Paysage bleu, In Bewegung (La pendule de marbre noir). Natürlich aber sind die dazugehörigen Stücke keine «Bilder einer Ausstellung», es geht auch nicht um die musikalische Transkription von Stilmitteln bildender Kunst in der Art des Impressionismus. Die beigefügten Bildertitel verweisen vielmehr auf den Blick des Malers, der im Falle von Cézanne und La Montagne Sainte-Victoire mit geradezu obsessiver Wiederholung sein Objekt gleichsam durchdringt, indem er es darstellt. Farbe und Form sind sein Material, der Zielpunkt des Blicks jedoch liegt im Inneren des Objekts, dort wo es nicht mehr materiell fassbar ist. Analog dazu ist kompositorisches Material auch für Alfred Zimmerlin Mittel und nicht endgültiger Zweck. Ob er nicht offen gelegte Reihen verwendet oder Ausschnitte aus seinem eigenen Kompendium gruppierter modaler Skalen (Braus für Blockflöte und Tonband etwa beruht wesentlich auf einer heptatonischen, im Abstand einer kleinen Septime repetierenden Skala): Es ist immer Werkzeug und nicht Sinn.
Das hat nichts mit Geringschätzung zu tun: Material ist kostbar, bestimmt oft die kompositorischen Fragestellungen (deutlich etwa im Clavierstück 4, in dem abschnittweise kompositorische Probleme wie Klangmutationen, gezielte Beschränkung auf bestimmte Intervalle oder einzelne Akkorde, Oktavfixierungen gewisser Töne gleichsam unter der Lupe betrachtet werden). Material ist aber immer auch historisch vorbelastet: Dass Komponieren den Umgang mit Geschichte, mit geschichtlichen Zeiten bedeutet, ist für Zimmerlin eine Selbstverständlichkeit. Die Materialien repräsentieren für ihn die Spuren einer «Zeitsäule», an deren Spitze das Stück in seiner Gegenwart steht. Gegenwart ist daher auch immer heterogen! Beispielhaft für die Erfahrung der Zeitsäule mögen die Neidhartlieder für Sopran, vier Renaissance-Blockflöten und Zuspielband, uraufgeführt an den 3. Internationalen Blockflötentagen in Basel und wiederholt in Kairo, stehen: Wie viereinhalb Jahrtausende Vergangenheit in einer Stadt mit einer Vitalität sondergleichen präsent sein können, hat Zimmerlin bei einem einmonatigen Aufenthalt in Kairo selber erfahren. Seine Neidhart-Lieder spiegeln diese Erfahrung, indem sie durch Minnelieder Neidharts von Reuental die eigene kulturelle Vergangenheit mit zeitgenössischen Gedichten Ingrid Fichtners verbinden, durch die Verwendung von Renaissance-Instrumenten weitere Historie einflechten und sich damit an die besagte Zeitsäulen-Spitze stellen.
Eine besondere und in Zimmerlins neueren Werken sehr oft verwendete Kategorie belasteten Materials ist schliesslich der Klang der Umwelt. Seit dem Klarinettenquintett (1990) tauchen immer wieder Bandeinspielungen mit konkreten Geräuschen alltäglichen Lebens in seinen Kompositionen auf. Beim Klarinettenquintett wird zuletzt eine im Freien aufgenommene Reprise des Anfangs mit diversen Zivilisationsgeräuschen eingespielt, was die Idee der zyklischen Wiederkehr ihrerseits eine historisch-traditionelle Idee in einen anderen Raum transformiert. In Zerstreut in Arbeit mit Wörtern für Sopran, Klavier und Tonabnd sind es Stadtgeräusche Kinderlachen, Verkehr, Glockenschlagen, Regen eines ganzen Tageszyklus', die komprimiert auf die Dauer des Stücks sozusagen ein Fenster offenlassen, vor dessen Hintergrund die artifiziellen Klänge des Klaviers und die gesungenen Texte Elisabeth Wandelers in ein urbanes Biotop gestellt erscheinen. Und in Braus für Blockflöte und Tonband sind neben dem elektronischen «Braus» auch Naturgeräusche, Vogelstimmen, das Nagen von Bibern (welches mit einem Heinrich-Ignaz-Franz-Biber-Zitat zu verknüpfen Zimmerlin sich nicht nehmen liess) zu hören.
Derartige im Konzert-Kontext fremde Klänge umgeben die Komposition mit neuer Raumwirkung, öffnen akustisch das Dach und die Wände des Konzertsaals und geben den Blick in die äussere Welt frei. Und da die «biotopischen» Klänge im Verhältnis zu den komponierten offenkundig zufällig sind, wirken sie auch befreiend: Die artifizielle Komposition tritt derweil in den Hintergrund, wird manchmal auch zugedeckt oder verschluckt, stellt das Selbstverständnis ihrer Notwendigkeit auch ein Stück weit in Frage. Der Effekt für den Hörer ist dabei und das gilt auch für die kontinuierlichen, elektronisch hergestellten Rauschen von In Bewegung (Nature morte au Rideau) oder Paysage bleu : Entlastung, Leichtigkeit, Schönheit, Stille. Alfred Zimmerlin vergleicht sein Komponieren mit der Vorstellung eines Raums, der voll verfügbaren heterogenen Materials ist. Hinter diesem Raum aber ist ein anderer Raum zu sehen, ein Ort, wo etwas zum Stillstand gekommen ist. Zu erreichen ist dieser andere Ort nicht, er bleibt immer in Bewegung, aber der Blick auf ihn ist möglich, wenn das Material zur Seite geräumt ist. Nicht der Weg dorthin wird komponiert, keine bildhaften Geschichten werden erzählt, die Modulation des Klaviers in In Bewegung (Nature morte au Rideau) ist nicht das dargestellte Gleichnis für diesen Weg. Aber vielleicht ereignet sich der Weg ja in jenem Schlussmoment, wo das Klavier so unvermittelt abbricht. Vielleicht fallen genau hier diese zwei Zustände in eins: In Bewegung. Stille.
► In: Dissonanz - Schweizer Musikzeitschrift für Forschung und Kreation, Nr. 71, Oktober 2001
... link